Dienstag, 8. März 2011

Vita und Forschungsschwerpunkte

 VITA

Diethelm Brüggemann studierte ab 1954 Germanistik, Anglistik, Philosophie und politische Wissenschaften in Freiburg i. Br., Münster, Glasgow und Marburg, war im Sommer-Semester 1955 Freiburger AStA-Vorsitzender, reiste 1955/56 für vier Monate mit der ersten Studentengruppe nach 1945 auf einer politologisch motivierten Studienreise in das Indien Nehrus, legte das Erste Staatsexamen 1961 in Marburg ab, war wissenschaftlicher Assistent an den Germanistischen Instituten der Universität Bonn und der Technischen Hochschule Aachen, wurde 1967 bei Ludwig Erich Schmitt in Marburg promoviert und noch im gleichen Jahr berufen auf die germanistische Professur – nebst Leitung des Department of German – an der National University of Ireland in Dublin.

Ein Forschungsurlaub seiner Universität führte ihn mit Forschungsstipendien der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Stiftung Volkswagenwerk zwischen 1975 und 1984 zweimal für mehrere Jahre nach München an die Bayerische Staatsbibliothek, wo er deren reichhaltige Bestände zunächst für Studien zu Heinrich von Kleist und später, nach seiner Entdeckung der hermetischen Struktur von Kleists Werk, zu Studien der Alchemie und verwandter Gebiete nutzte.

Von 1984 bis 1988 war er als Professor und Head of the Department of German Studies an der University of the Witwatersrand in Johannesburg (S.A.) tätig, wo er seine Forschungen zu Kleists Hermetik vertiefte. Außerdem gelangen ihm dort erste Entdeckungen zur Hermetik in Goethes Faust und in Rembrandts Radierung Sogenannter Faust.

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland Ende 1988 konnte Brüggemann sich verstärkt seinen Forschungsschwerpunkten Kleist und Hermetik widmen.

Neben diesen Forschungsschwerpunkten hat Brüggemann sich in mehreren Buch- und zahlreichen Aufsatzveröffentlichungen mit folgenden Autoren und Themen befaßt: Komödie der Aufklärungszeit, Rhetorik, Briefsteller, Brieftheorie der Aufklärung (Gellert), Goethe, Novalis, Grabbe, Fontane, Lyrik der Moderne. Außerdem entstanden zahlreiche Rundfunksendungen zu literarischen und anderen Themen sowie Buchrezensionen für Fachperiodika, den Rundfunk und die Frankfurter Allgemeine Zeitung.


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SCHWERPUNKT KLEIST-FORSCHUNG, INSBESONDERE KLEISTS HERMETIK


1) Drei Mystifikationen Heinrich von Kleists. Bern [u.a.], Lang Verlag 1985, 222 S., 9 Abb. (Germanic Studies in America, Bd. 51).
Dieses Buch besteht aus drei Großkapiteln. Das erste Großkapitel (S. 15-87) beschäftigt sich mit Kleists Würzburger Reise im Jahre 1800 und bringt verschiedene Quellenentdeckungen, so u. a. zu den von Kleist brieflich geschilderten vier Irren aus dem Würzburger Julius-Spital. Außerdem wird durch eine von Brüggemann entdeckte Photographie eine Behandlungsmethode in der Psychiatrie des Juliusspitales nachgewiesen, die von Kleist brieflich mitgeteilt, die aber bislang als angebliche Phantasie Kleists bestritten wurde.
In dem zweiten Großkapitel, Kleists Lust-Spiel mit Goethe (S. 89-174), finden sich erste Erkenntnisse über die von Brüggemann entdeckten alchemistischen Strukturen im Werk Kleists, in diesem Fall im Zerbrochnen Krug. Außerdem werden dort die provokativen Beziehungen aufgewiesen, die Kleist zwischen seinem Lustspiel und Goethe und Goethes Faust herstellt, die ein völlig neues Licht auf die Uraufführung durch Goethe werfen: Nicht Goethe erst hat Kleist durch die Aufführung angegriffen, sondern Kleist hat bereits im Text des Lustspiels Goethe angegriffen.
Das dritte Großkapitel weist die Quelle für die Figur des Aloysius, Marquis von Montferrat in der Novelle Der Findling nach.


2) „Babylonische Musik. Die heilige Cäcilie als Paradigma für Kleists Hermetik“. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 72. Jahrgang (1998), S. 592-636.
Erste Darstellung und Analyse wichtiger alchemistischer Motive in Kleists Erzählung Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik. Einige bis dahin ungeklärte Fragen werden geklärt, so u.a., warum Kleist das nicht zur Römischen Liturgie gehörende Salve Regina in die liturgische Musik der Nonnen aufgenommen hat, oder das Problem des gemeinsamen Sterbens der vier ikonoklastischen Brüder. Außerdem erfolgt die Klärung der Quelle für Kleists musikalische Motive: das biblische Buch Daniel.

3) Kleist. Die Magie. Analysen der Erzählungen Der Findling, Michael Kohlhaas, Die Marquise von O…, Das Erdbeben in Chili, Die Verlobung in St. Domingo, Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik. Würzburg 2004, 517 S., 35 Abb.
Diese Studie analysiert die hermetische Struktur der wichtigsten Erzählungen Kleists. Gleichzeitig werden etwa zwei Dutzend neue Quellen für die Erzählungen benannt, neben etwa einem Dutzend Quellen aus der hermetischen Emblematik-Tradition.

4) Die Freuden der Hermetikforschung. Replik auf die Rezension von Kleist. Die Magie durch H.J. Schings in der FAZ. In: Heilbronner Kleist-Blätter, Heft 17, 2005, S. 165-172.

5) Schlicht und betäubend. Replik auf die Rezension von Kleist. Die Magie durch Joachim Telle in Arbitrium. In: Heilbronner Kleist-Blätter, Heft 19, 2007, S. 165-176.


6) Ein Fingerzeig Kleists. In: Heilbronner Kleist-Blätter, Heft 22, 2010, S. 89-96.


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SCHWERPUNKT HERMETIKFORSCHUNG


1) Makarie und Mercurius.Goethes ‚Wilhelm Meisters Wanderjahre’ als hermetischer Roman. Bern [u.a.] 1999, 158 S., 9 Abb. (Germanic Studies in America, Bd. 70).
Ausgehend von einer Entschlüsselung des in Wilhelm Meisters Wanderjahre von Goethe abgebildeten  Schlüssels (siehe Abb. rechts) – der sich als eine Goethesche Version der Monas Hieroglyphica (1564) des Elisabethanischen Alchemisten John Dee herausstellt – erkennt diese Buchstudie Goethes Roman als strukturiert durch die hermetische Tradition. Makarie stellt sich dabei als Personifikation des alchemistischen ‚Urgottes’ Mercurius heraus. Das Urbild der Makarie wird in einer Abbildung der Alchimia in dem hermetischen Werk Ars Magna Sciendi (1669) des Athanasius Kircher identifiziert.
2) „Alchemie ohne Labor. Aufschlüsselung des Kryptogramms in Rembrandts Radierung ‘Sogenannter Faust’“. In: Jahrbuch der Berliner Museen, N.F., Bd. 23 (2001), S. 133-151, 5 Abb.
Der Aufsatz weist nach, daß die Licht-Erscheinung im Fenster
 in der bekannten – von Goethe in einer Adaption von Lips der ersten Ausgabe von Faust. Ein Fragment vorangestellten – Radierung (ca. 1651-1653) von Rembrandt, mit dem Titel Sogenannter Faust, eine grafische Repräsentation des Magnum Opus der Alchemie ist.
Auch wird belegt, daß der früheste Titel dieser Radierung einen Hinweis auf die Alchemie bot. Schließlich wird untersucht, warum Goethe den mit ihm befreundeten Kupferstecher Julius Heinrich Lips damit beauftragte, die Radierung für die Faust-Ausgabe seitenverkehrt abzubilden.
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WAS IST HERMETIK?


Das Wort ‚Hermetik’ ist abgeleitet vom Namen des griechischen Gottes Hermes (bei den Römern: Mercurius), jedoch nicht direkt von ihm, sondern auf dem Umweg über den altägyptischen Gott Thot, der in der späten Antike mit dem Gott Hermes gleichgesetzt und als solcher auch ‚Hermes Trismegistos’ (‚Dreimal-herrlicher Hermes’) genannt wurde. Thot, also Hermes Trismegistos, galt den spätantiken und mittelalterlichen Alchemisten als der Begründer der Alchemie und als Verfasser der sogenannten hermetischen Schriften, des Corpus Hermeticum. Diese zumeist in Dialogform abgefaßten und überwiegend griechisch- und koptischsprachigen Texte stammen jedoch erst aus dem zweiten bis dritten Jahrhundert n. Chr. Sie enthalten ‚mystische’ Lehren über Gott, die Entstehung der Welt und die Gestalt des Kosmos, die Weisheit des Menschen u.ä., und sie zeigen Parallelen zum Platonismus und zur Gnosis. Die früheste und bedeutendste dieser Schriften ist der Dialog Poimandres, die relativ bekannteste und wohl auch einflußreichste war die Tabula Smaragdina, die als Darstellung des alchemistischen Prozesses gelesen werden kann und gelesen wurde. Seit der Übersetzung des Corpus Hermeticum ins Lateinische durch Marsilio Ficino (1491) wurden die hermetischen Schriften im Abendland bekannter und verstärkten ihren Einfluß auf die Alchemie. Die erste deutschsprachige Übersetzung erschien im Jahre 1781 unter dem Titel Hermes Trismegistos. Poemander oder Von der göttlichen Macht und Weisheit (Reprint mit einer Einleitung von M. Vollmer, Hamburg 1990). Das Wort ‚Hermetik’ bezeichnet also zum einen die Schriften des Corpus Hermeticum, zum anderen speziell deren Gedankengut, insbesondere deren alchemistische Aspekte, und schließlich die Alchemie selbst.


Die Bezeichnungen ‚Alchemie’ und ‚Hermetik’ werden daher von einigen wissenschaftlichen Autoren synonym verwendet, was nur richtig ist, wenn man unter Alchemie nicht nur die ’Labor-Alchemie’, sondern auch die seelische Alchemie versteht. Auch das Wort ‚Magie’ erscheint zuweilen als Synonym für Alchemie, aber wiederum ist hier Vorsicht angebracht. Denn die Magie umfaßte ein weit größeres Feld als nur die Alchemie. ‚Magische Praktiken’ waren nicht unbedingt identisch mit alchemistischen Praktiken.


Dem Einfluß des Corpus Hermeticum ist es mit zu verdanken, daß die seit dem Altertum stets mit Geheimnissen umgebene Kunst des Goldmachens, die Alchemie, sich neben ihrer Fortexistenz als genuine ‚Labor-Alchemie’ auch zu einer mystischen, seelischen oder symbolischen Alchemie entwickelte. Nach der Ablösung der Labor-Alchemie durch die moderne naturwissenschaftliche Chemie lebten mannigfache Motive der seelischen Alchemie weiter in den Ritualen der Freimaurerei. So findet sich etwa die zentrale alchemistische Bedeutung des unerläßlichen Mittels zur Goldherstellung, des ‚Steins der Weisen’ (Lapis philosophorum), in der Freimaurerei als Entsprechung wiedergespiegelt in der zentralen Bedeutung des Menschen als ‚unbehauener’ und – nach der Initiation in den Meistergrad – als ’behauener Stein’.


Vom Corpus Hermeticum finden sich Einflußspuren bei zahlreichen Denkern und Schriftstellern des Abendlandes, so etwa bei Albertus Magnus, Paracelsus, Shakespeare, später bei Goethe und Kleist. Bei Goethe galt bisher seine sogenannte Naturphilosophie als stark von hermetischem Denken beeinflußt. Da Goethe jedoch Freimaurer war, ist sein Interesse an der Hermetik auch von dieser Seite her zu bedenken.


III. Weiterführende Literatur zur Hermetik.
Die früheste und noch nicht überholte Untersuchung zur seelischen bzw. symbolischen oder mystischen Alchemie ist die Studie von Herbert Silberer, Probleme der Mystik und ihrer Symbolik, Wien und Leipzig 1914. Die Arbeiten des bekannten Psychologen Carl Gustav Jung zur Alchemie haben seitdem die bedeutendsten Fortschritte in der Kenntnis der seelischen Alchemie gebracht. Bei ihrer Lektüre wird man sich jedoch von Jungs Auffassung, die Labor-Alchemisten hätten in ihren Kolben und Phiolen eigene seelische Prozesse ‚gesehen’, sie also ‚hineinprojiziert’, nicht unbedingt überzeugen lassen. Jungs immense Gelehrsamkeit und interpretatorische Kultur und Genauigkeit bleiben unbestritten. Seine Studien sind Pionierarbeiten zur seelischen Alchemie. Besonders die folgenden sind zu nennen: Psychologie und Alchemie (zuerst 1944), Mysterium Coniunctionis (3 Bände, erster Band zuerst 1955, die übrigen Bände 1968 und 1971) sowie Studien über alchemistische Vorstellungen (zuerst 1978), alle auch greifbar in der Ausgabe von Jungs Gesammelten Werken im Walter Verlag, Olten und Freiburg i.Br.

Zur Alchemie in Goethes Faust hat der Schweizer Nationalökonom Hans Christoph Binswanger ein kleines aber unschätzbares Werkchen geschrieben: Geld und Magie. Deutung und Kritik der modernen Wirtschaft anhand von Goethes ‚Faust’ (2. Aufl., Hamburg 2005), das aber leider nur Faust II behandelt.

Lexikon: Wer sich über die Labor-Alchemie und deren Geschichte unterrichten möchte, greift am besten zu dem handlichen und trotzdem umfassend sowie solide und präzise informierenden Werk zweier Naturwissenschaftshistoriker: Claus Priesner, Karin Figala: Alchemie. Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, München 1998, das mit zahllosen Literaturangaben dient und im übrigen auch einige lesenswerte Beiträge zur seelischen Alchemie aufweist.